Genauso wie so ziemlich alles, unterscheidet sich auch die Rolle des Dorfpfarrers hier wesentlich von der Rolle eines Pfarrers in Deutschland. Da wir ja beide bisher reichlich Gelegenheit hatten den Alltag eines deutschen Pfarrhauses mitzuerleben, haben wir nun seit drei Wochen den direkten Vergleich. Zunächst einmal zu seiner Rolle im Dorf: In Kirohura, und ich denke die Situation hier entspricht den übrigen Dörfern in Ruanda, ist der Pfarrer der Einzige, der ein Studium absolviert hat und einer der Wenigen, der nicht ausschließlich von der Landwirtschaft lebt. Zudem hat er einen Führerschein und sein Motorrad ist das einzige motorisierte Fahrzeug weit und breit. Außerdem hat er seit einem Jahr eine Solarzelle auf seinem Dach und verfügt somit über die einzige Stromquelle des Dorfes. Diese ganzen Sachen und Eigenschaften, die ihn von den übrigen Dorfbewohnern unterscheiden, machen ihn nicht nur zu einem bewundernswerten Allround Pfarrer, sondern bringen auch viele Verpflichtungen und Aufgaben mit sich. Neben den Kernaufgaben eines Pfarrers (Gottesdienste, Kasualien, Seelsorge), die hier wie bei uns dieselben sind, ist der Pfarrer hier für viele Aufgaben zuständig, die in Deutschland ganz sicher nicht zum Aufgabenfeld eines Pfarrers zählen. So muss er oft Konflikte zwischen Dorfbewohnern oder Familienmitgliedern schlichten, da er aufgrund seines Bildungsgrades und seiner Neutralität von den Bewohnern als besonders klug und gerecht geschätzt wird. Da hier die nächste Polizeistation oder das nächste Gericht sehr weit weg ist, übernimmt der Pfarrer in vielen Fällen die Funktion solcher Einrichtungen mit. Sei es, dass in der Schule ein Lehrer ein Kind geschlagen hat, der Nachbar nach einem Sorghumbier (tratitionelles Bier) zuviel die ganze Nacht laut grölt oder ein Arbeitgeber seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nach kommt – immer ist der Pfarrer die erste Anspruchsperson. Auch sein Motorrad, das er benötigt um die Menschen, die hier so verstreut über die Hügel verteilt wohnen, zu besuchen, bringt einige Pflichten mit sich. So muss er auch mal als Taxi herhalten, wenn ein erkrankter Dorfbewohner zum Arzt oder ins Krankenhaus gebracht werden muss. Da es in Ruanda kein Sozialhilfesystem gibt, suchen Bedürftige und Familien, denen es am Nötigsten fehlt ebenfalls das Pfarrhaus auf. Um all diesen Ansprüchen gerecht werden zu können, braucht der Pfarrer nicht nur viel Zeit und Geduld, sondern vor allem ein offenes Ohr und damit auch einen offene Tür. Wie oft kam es nun schon in den drei Wochen vor, dass schon morgens um acht, als wir frühstücken wollten, jemand im Wohnzimmer saß und den Pfarrer seine Probleme erzählt hat. All diese Leute, die zu jeder Tageszeit an die Tür kommen, bekommen etwas zu Trinken und/oder zu Essen. Ob es nun ein Kilo Zucker ist, ein Kilo Reis oder ein eine warme Mahlzeit, es vergeht kein Tag hier, an dem Emanuel nichts abgibt. Obwohl er all diese Sachen aus eigener Tasche bezahlen muss, sei es Benzin für die Besuche (so etwas wie Dienstfahrten oder ein Fahrtenbuch gibt es hier nicht), oder Benzin für den Generator, um Sonntags für den Gottesdienst das Keyboard zu betreiben wenn nicht genug Sonne für die Solarzelle da war, haben wir das Gefühl, dass er immer gerne gibt. Doch von einem Pfarrgehalt hier, kann er das nicht alles bestreiten. Daher ist er nebenbei auch noch Landwirt, hat ein paar Felder und eine Kuh, um seinen Verdienst etwas aufzubessern und die Kosten decken zu können. Je mehr wir in den Arbeitsalltag von Emanuel Einblick bekommen, umso erstaunlicher finden wir es, mit welchem Engagement und Hoffnung er sich für die Situation seiner sehr armen Gemeinde einsetzt. Und umso dankbarer sind wir, dass er trotz allem auch noch Besucher aufgenommen hat.