Verständigungsprobleme

Kurz nach dem Eintreffen der Kuh in Kiruhura ging auch unser Aufenthalt in der kleinen Dorfgemeinde zu Ende. Zunächst verbrachten wir wieder einige Tage in Pascals Familie in Byumba, bis wir zu unserer nächsten Station aufbrachen: Ruhengeri.

Ruhengeri ist die zweitgrößte Stadt Ruandas nach Kigali und befindet sich ebenfalls im Norden des Landes. Ihre geographische Lage ist insofern besonders reizvoll, da die Stadt am Fuße einer großen Vulkan Kette, der acht so genannten Virunga-Vulkane, liegt. Diese acht Vulkane befinden sich im Grenzgebiet zwischen Uganda, Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo und sind zwischen 3000 und 4500m hoch. Einige dieser Vulkane gelten heute noch als aktiv. Der auf kongolesischer Seite befindliche Nyiragongo beispielsweise, brach im Jahre 2003 derart heftig aus, dass in der nahe gelegenen Stadt Goma 2000 Menschen ums Leben kamen. Dieser Vulkan spuckt auch heute noch permanent Lava und gilt als einer der aktivsten Vulkane Afrikas.

Das Gebiet um diese Vulkane herum wurde bereits vor mehr als 40 Jahren zum Virunga-Nationalpark erklärt und ist damit Heimat zahlreicher seltener Pflanzen und Tierarten. Besonders bekannt sind darunter die seltenen Berg-Gorillas, deren Bestand durch den engagierten Einsatz der betroffenen Regierungen und zahlreicher Naturschutzorganisationen zumindest auf ruandischer und ugandischer Seite als gesichert gilt. Natürlich haben wir die Gelegenheit auch genutzt den Park zu besuchen. Über dieses einmalige Erlebnis werden wir aber einmal in einem anderen Artikel berichten.

 

In Ruhengeri waren wir im Haus des Dekans der Region Nordruanda untergebracht, was natürlich auch Auswirkungen auf unsere Tätigkeit in dieser Zeit haben sollte. Wir wurden sehr herzlich von der Gemeinde empfangen und Jean-Marie gab sich vom ersten Augenblick an größte Mühe uns einen möglichst angenehmen Aufenthalt zu bieten. Dennoch, schon bei unserer ersten Begegnung mit der Gemeinde, dem Pfingstgottesdienst, machte sich bereits ein mulmiges Gefühl bei uns breit, denn die Rolle, die uns dort plötzlich anhaftete, unterschied sich wesentlich von der Rolle, in der wir uns sahen.

Sämtliche Vertreter aller Gemeinden der Region waren angereist, um die Gäste aus Deutschland zu empfangen, wir wurden gleich zu Beginn um eine kleine Ansprache gebeten und im Anschluss an den Gottesdienst fand uns zu Ehren auch noch ein kleiner Empfang statt. Kurz gesagt, wir wurden behandelt wie die offizielle Delegation einer Kirche, NGO oder Ähnlichem. Obwohl wir natürlich anfangs ziemlich überrumpelt und überfordert mit dieser Situation waren (was aber in letzter Zeit öfter mal der Fall war und wir uns daher schon etwas daran gewöhnt hatten), war das besonders Unangenehme für uns, die ungemein großen Erwartungen an uns, die von Beginn an im Raum standen. Da wir aber gleichzeitig beobachten konnten, wie sehr sich alle um uns herum Mühe gaben und wahrscheinlich keiner auch nur ahnte (auch der Dekan nicht), dass diese Art des Willkommens definitiv nicht unseren Vorstellungen entsprach, wurde uns klar, dass es offensichtlich im Vorfeld versäumt wurde unsere Rolle und unsere Aufgabe während unseres Besuches deutlich klarzustellen.

 

Geduldig ließen wir aber zunächst alles über uns ergehen und spielten das Spiel mit, war es ja beinahe rührend wie sehr sich alle um uns kümmerten und sich bemühten uns einen schönen Empfang zu bereiten. Geradezu fatal wäre es in dieser Situation gewesen die Gemeinde brachial vor den Kopf zu stoßen. Denn verstanden hätte dann unser Verhalten vermutlich keiner.

Nach dem darauf folgenden Tag aber, an dem wir zwei Gemeinden, eine Schule und eine Kooperative für Strickkleidung besichtigt hatten, wurde uns klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Wie wir bereits befürchteten wurden wir zunächst überall wieder offiziell Empfangen (Ständchen, Ansprache und detaillierter Lagebericht über die derzeitige Gemeindesituation durch den Pfarrer, Imbiss), anschließend wurden auch unterschiedliche Anliegen an uns herangetragen, wie zum Beispiel der Bau mehrerer Kirchen, Schulen oder Pfarrhäusern, die wir natürlich alle enttäuschen mussten.

Am Abend redeten wir dann mit Jean-Marie Klartext und klärten unseren sichtlich überraschten Gastgeber über unsere Sicht der Dinge auf. Wir erklärten Ihm, dass wir Studenten sind und Ruanda als Privatpersonen, nicht als Vertreter irgendeiner Landeskirche oder Hilfsorganisation besuchen, um Projekte und Gemeinden der presbyterianischen Kirche primär mit unserer Arbeitskraft zu unterstützen. Grund unseres Freiwilligendienstes sei vornehmlich privates Interesse an interkulturellen und interreligiösen Erfahrungen, sowie Erfahrungen im sozialen Bereich und im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Weder hätten wir daher ein offizielles Mandat und finanzielle Mittel, noch sehen wir es als primären Teil unserer Aufgabe an, im großen Stil Partnerschaften mit deutschen Gemeinden zu vermitteln oder große Bauprojekte zu verwirklichen. Vor allem aber hatten wir keine Lust am laufenden Band Erwartungen und Hoffnungen vieler Menschen zu enttäuschen.

Glücklicherweise verlief das Gespräch mit Jean Marie konstruktiv und er hatte Verständnis für unsere Lage. Es war einfach nicht rechtzeitig kommuniziert worden und nun war die Kacke am dampfen.

Für grundlegende Änderungen war es aber bereits zu spät, standen doch für die nächsten Tage insgesamt 10 Gemeinden auf dem Programm, denen unser Besuch bereits seit Langem angekündigt war. Da sich Jean-Marie gegenüber uns äußerst verständnisvoll zeigte und wir einerseits natürlich auch verstehen konnten, dass er nun auch nicht einfach einen Rückzieher machen konnte, andererseits wir ja auch gewillt und finanziell in der Lage waren die Gemeinden mit kleineren Projekten zu unterstützen, bemühten wir uns um Schadensbegrenzung für alle Beteiligten. Es musste eine für alle akzeptable Lösung für die Gestaltung der kommenden Gemeindebesuche gefunden werden.

Ein weiteres Problem jedoch war die Zeit. Hatten wir in Kiruhura ausreichend Zeit und Gelegenheit die Gemeindesituation kennen zu lernen, bevor man sich über Art und Weise der Unterstützung Gedanken machte, um schließlich gezielt auf die Gemeindesituation möglichst exakt zugeschnittene Projekte initiieren zu können, war dieses Vorgehen nun nicht möglich. Die Gemeindebesuche deshalb einfach abzusagen und den Gemeinden die Unterstützung, die wir anzubieten hatten zu versagen, kam für uns aber auch nicht in Frage, weil, das darf man bei allem nicht vergessen, die Mehrzahl der Gemeinden wirklich in einer katastrophalen finanziellen und infrastrukturellen Lage war.

Trotzdem mussten und wollten wir auch den adäquaten Einsatz der uns anvertrauten Spendengelder garantieren. Wir beschlossen daher, jeder der 10 Gemeinden Nutztiere für den Beginn einer Tierzucht im Wert von umgerechnet 60 Euro zu spenden. Dies waren je nach Verhandlungsgeschick der Verantwortlichen 2-4 Schweine, Schafe oder Ziegen. Da es für uns nicht in Frage kam jemandem Geld in die Hand zu drücken, unterbreitete von nun an Jean Marie den Verantwortlichen der Gemeinden im Vorfeld unseres Besuches unser Unterstützungsangebot. Je nach dem welche Vorrausetzungen (Ställe, Zucht Know-How etc.)

in der jeweiligen Gemeinde vorhanden war, wurden die Tiere entweder direkt im Dorf oder auf einem Markt in der Nähe zuerst von den Verantwortlichen ausgesucht, anschließend von uns eigenhändig bezahlt und schließlich in die Gemeinde gebracht.

Im Optimalfall brachten wir dann die Schweine, Ziegen oder Schafe dann gleich bei unserem Besuch mit und alle Beteiligten freuten sich. Die klare Vorabinformation für die Gemeinden enthielt neben der deutlich definierten Art und Weise der Unterstützung auch noch eine Klärung unserer Rolle und Funktion, was dazu führte, dass uns unangenehme Anfragen und die Enttäuschung überdimensionaler Erwartungen erspart blieben –, die Gemeinden waren überrascht und unglaublich dankbar über die Tierspende und die Besuche verliefen dementsprechend entspannt.

So konnten wir alles noch einmal zum Guten wenden. Dennoch haben wir aus der Sache einiges gelernt,  müssen wir uns doch fairerweise eingestehen, dass auch wir es versäumt hatten vor unserem Aufenthalt in Ruhengeri unsere Absichten und unsere Rolle während unseres Besuchs deutlich klarzustellen, oder vielmehr uns dabei auf Andere verlassen hatten. Daher war unsere Situation sicher auch selbstverschuldet. So sond  wir dennoch, was die Vertretung eigener Interessen nach Außen anbelangt, wohl ein Stück selbstbewusster geworden.